Die Diskrepanz zwischen ausgewiesenen und tatsächlichen Reichweiten wäre längst aufgefallen, wenn es effektive und unabhängige Kontrollmechanismen gäbe. Doch sämtliche Akteure vertrauen darauf, dass die Reichweiten stimmen und dass das selbernannte Forschungsinstitut Swiss Poster Research Plus AG (SPR+) ↗ seine Arbeit schon richtig macht.

SPR+: Kein Realitätsabgleich

Aus dem Studium der Unterlagen zu Swiss Poster Research Plus AG (SPR+) ↗ ergibt sich kein Hinweis darauf, dass der abstrakte Algorithmus zur Berechnung der Reichweiten je mit der Wirklichkeit abgeglichen wurde. Auch auf Nachfrage per E-Mail kann Geschäftsführer Felix H. Mende dies nicht bestätigen.

Stadtverwaltung/VBZ

Auf die Frage, ob die Stadt die Reichweiten je überprüft hat, schreibt das Hochbaudepartement ↗: «Die VBZ haben die Plakatvermarktung an die Unternehmung Goldbach Neo OOH AG vergeben. Die Angebote und deren Eigenschaften sind unter Plakatwerbung bei Goldbach Neo zu finden.» Auch die Einhaltung von Regeln zum Betrieb und allen anderen relevanten Vorgaben und Gesetzen wird von der Stadtverwaltung nicht überprüft, was ihr Anfang Oktober 2024 eine fünfseitige Aufsichtsbeschwerde ↗ eingehandelt hat.

Werbetreibende

Die Kund:innen der Plakatgesellschaften scheinen die angegebenen Reichweiten ungeprüft zu übernehmen. Out-of-Home Watch hat sich mit grossen Werbekunden unterhalten, die aber keinen Grund gesehen haben, die Zahlen je selber zu überprüfen. Auch die Veröffentlichung dieser Website keine Wellen geworfen. Vielleicht interessiert es die Verantwortlichen einfach nicht, weil sie ja nicht ihr eigenes Geld ausgeben.

ESOMAR

Die European Society for Opinion and Market Research ↗ (ESOMAR) und die World Out of Home Organization ↗ haben globe Richtlinien zur Aussenwerbung-Messung (Global Guidelines on Outdoor Audience Measurement ↗) entwickelt. Gemäss eigener Aussage hat sie Felix H. Mende, Geschäftsführer von SPR+, «im Steering Committee und im Technical Committee massgeblich mit anderen internationalen Experten mitentwickelt» (E-Mail).

Das Problem? Fehlende Distanz und Unabhängigkeit. Die Richtlinien sind nicht bindend und wurden von Organisationen und Menschen entwickelt, die ein Interesse an möglichst hohen Reichweiten haben. In den Guidelines steht denn auch: «The World Out of Home Organization (WOO) has intended this document to be a set of guidelines rather than standards» und «WOO has always been committed to the promotion of the OOH industry.»

Weiteres Problem? Durch die Verweigerung, die Fragen von Out-of-Home Watch zu beantworten, verstösst SPR+ gegen den ESOMAR Code of Conduct ↗ (Art. 8a und möglicherweise 9e).

Research Advisory Board

Wie hier argumentiert, haben die meisten Mitglieder des Research Advisory Board ↗ von SPR+ nicht die nötige Objektivität, kritische Distanz oder wissenschaftliche Kompetenz, um die Berechnungen zu überprüfen. Das dürfte auch erklären, warum alle Beteiligten die Datenmenge und die Berechnungszeiten für das damals neue SPR+-Modell unterschätzt haben (Quelle ↗). Der einzige Wissenschaftler des achtköpfigen Gremiums ist der Vorsitzende Prof. Dr. Martial Pasquier, aber seine publizierte Forschung zu dem Thema ist teilweise 30 Jahre alt.

WEMF DOOH-Audit

Die WEMF AG für Werbemedienforschung verkauft Zertifikate, die belegen, «dass eine Kampagne wie vereinbart ausgeliefert wurde» (Quelle ↗). Doch WEMF überprüft keine Reichweiten. WEMF überprüft nur stichprobenartig, «ob die Kampagnenauftragsdaten mit den Playlog-Daten des Adservers und den Telemetrie-Daten der angesteuerten Screens in plausibler Weise übereinstimmen» (Quelle ↗). Was dieser 70 000 Franken teure WEMF-Audit wert ist, ist unklar, sind sie doch nicht der Lage festzustellen, dass die Spots bei Goldbach Neo nur 13,5 anstatt wie verkauft (und vorgeschrieben) 15 Sekunden dauern.